Kurzstudium International Business Management - Vancouver - Carla

Carla hat ihre Zeit in Vancouver in vollen Zügen genossen

Kanada fasziniert mich schon seit ich klein bin und seit ich mit 14 einen Urlaub in Nova Scotia gemacht hatte, stand fest: Nach dem Abi würde es nach Kanada gehen. Für Vancouver habe ich mich eher beiläufig entschieden, auf Berichten von Freunden und Verwandten hin, die die Stadt nur empfehlen konnten.
In der Empfangshalle des YVR Airports stehen zwei an die Kunst der Indianer angelehnte Willkommensfiguren aus Holz, und ich erinnere mich, dass das allererste, was ich tat, war, sie zu fotografieren. Ich erinnere mich, dass ich gelächelt habe und dachte: Das ist Kanada. Endlich.
In den sieben Monaten, die ich dort verbracht habe, musste ich diese Ansicht allerdings mehrmals ändern.

Fast zwei Wochen später sitze ich in Momo Sushi in Gastown, einem der nicht gerade wenigen asiatischen Restaurants. Gegenüber: zwei Japanerinnen, und die Schweizerin neben mir schafft es, ein Reiskorn mit Stäbchen aufzusammeln. Wir unterhalten uns über Sprachen, über verschiedene Kulturen, über K-Pop und Sushi und Mangas.
Ich habe sie alle eine Woche zuvor kennengelernt, bei einem viertägigen Trip in die Rocky Mountains. Am letzten Abend sitzen wir mit S’mores hinter unseren Berghütten, genießen das Lagerfeuer, und singen zu Ed Sheeran. Ein paar Stunden zuvor saßen ich und eine deutsche Freundin als einzige Europäer an einem Tisch voller Asiaten, und wir versuchten uns an ein paar Worten in Taiwanisch. Scheinbar, so lerne ich, ist das Mandarin, aber Koreanisch verstehen sie gar nicht.
Ich lerne auch, dass ich, als Deutsche, Schweizerdeutsch kaum verstehe, was mich überraschte. Wie eigentlich alles an diesem Wochenende: Es ist meine erste Woche in Kanada, und ich bahne mir meinen Weg durch Gletscherschnee, berühre die kleine Eisschicht auf Lake Louise, und kreische beim Anblick einer Spinne im Bus. Ich lerne ebenfalls, dass die Asiatin hinter mir genauso ängstlich ist wie ich. Ich lerne, dass ich manche Akzente nur schwer verstehe, und dass ich für einige zu schnell und mit zu viel schwierigem Vokabular spreche.
Vor allem starre ich jedoch in die wunderschönen grünen Flammen, die auf einmal aufflackern, als irgendein Metall im Holz verbrennt, und genieße die sanfte Silhouette der Berge in der Dunkelheit. Ich lerne auch, dass, nicht wirklich überraschend, ungefähr alle bei Ed Sheeran mitsingen können.

Am Tisch in Momo Sushi blinkt mein Handy. Eine Nachricht aus Deutschland - wie das Studium ist, und ob ich schon ein paar süße Kanadier getroffen hätte. Auf die erste Frage antworte ich mit einem Lächeln, auch jetzt noch. Ja, ich muss ab und an doch lernen, weil wir mindestens alle zwei Wochen einen Test schreiben. Aber wir gehen auch in ein Gericht und dürfen bei echten Fällen dabei sein, machen Gruppenprojekte und am Tag der Graduation bekommen wir Hüte und schwarze Umhänge, wie in allen amerikanischen Filmen. Ich darf sogar eine Rede halten, in der ich von den sympathischen Lehrern erzähle und davon, wie dankbar ich dem College bin, weil Business Management auf einmal nach Spaß klingen konnte.
Meine Antwort auf die zweite Frage jedoch: nein. Soweit ich mitbekommen habe, gibt es kaum Kanadier in Vancouver, Kanada. Es gibt Brasilianer. Mexikaner. Koreaner. Japaner. Ein paar Europäer.
Die einzigen Kanadier, die ich kennengelernt habe, sind meine Lehrer, und meine Gastfamilien. Aber nicht alles ist bunt und laut und perfekt multikulti. Manche Sachen laufen nicht gut.

Ich erinnere mich, dass ich mit einem Kaffee in der Hand Commercial Street hochlief und die Straßenkunst sah. Es war ein sonniger Tag, mit blauem Himmel und den Blättern an den Bäumen, die sich langsam orange färbten, so friedlich in einer Straße nur ein paar Minuten entfernt von Bussen, Obdachlosen und der Schnelligkeit einer Metropole.
Vor ein paar Stunden hatte ich erklärt, dass ich nicht sicher war, ob ich Vancouver mochte. Es war so laut, so groß, und ich hatte Angst vor den Obdachlosen, so viele mehr als bei mir zuhause. Ich hatte Angst, die anderen Kulturen nicht zu verstehen, die hier im Vollkaracho aufeinanderprallten. Ich hatte Angst, mich nie in Vancouver zu verlieben, weil es nur eins zu sein schien: Eine Haltestelle, eine Kreuzung der Kulturen, ohne eigene Geschichte, die durch die Straßen pulsiert.

Ich musste Gastfamilien wechseln - manchmal passt es einfach nicht. Für zwei Monate hatte ich jeden Tag ein ungutes Gefühl im Bauch, weil ich in diese Familie nicht passte, und es hinderte mich daran, mich auf Vancouver einzulassen. Im Nachhinein wünsche ich mir vor allem eins: Dass ich mich gleich getraut hätte, zu wechseln.
Denn in Gastfamilie Nummer Zwei spielten wir jedes Wochenende zusammen Karten, wenn wir wollten. Mein Gastvater kramte ein altes E-Piano aus dem Keller, als er erfuhr, dass ich spielte, und sie ließen mich im Haus singen, auch wenn es irgendwann nerven musste. Sie gaben sich Mühe, für mich vegetarisch zu kochen, und sie luden mich auf Eis ein. Ich durfte meine Freunde zum Filmschauen einladen.

Fast sechs Monate später erinnere ich mich an das Gefühl, dass Vancouver nur eine Haltestelle ist, als ich mit meiner Gastschwester und einer Freundin aus Korea einen Tag damit verbringe, die Straßenkunst in Vancouver zu jagen. Davor zu posieren. Menschen, die mir so wichtig geworden sind, zu umarmen und für ein Foto auf die Wange zu küssen.
Eine Kreuzung der Kulturen, und eine Haltestelle zu dem Leben, das ich führen will, und in Momenten wie diesen unter Frühlingssonne und Straßenkunstschönheiten weiß ich, dass ich keine Angst hätte haben brauchen.
Ja, Vancouver ist laut und groß und die Kulturen krachen ineinander. Aber das ist genau das Schöne daran. Denn obwohl ich mein Programm am College in vollsten Zügen genossen habe, habe ich in meiner Freizeit noch viel mehr gelernt. Darüber, was wir gemeinsam haben als Menschen. Was uns trennt. Was wir nicht verstehen voneinander. Und so viel darüber, was wir voneinander zu lernen haben.

Deshalb kann ich jedem einzelnen nur empfehlen: Schließt die Augen, habt keine Angst. Lasst euch darauf ein.

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